Brasilien rührt an Tabu

■ Abtreibungsdebatte eröffnet/ Justizminister: Verbot heuchlerisch

Rio (taz) – Basiliens neue Regierung ist dabei, an einem bisher unantastbaren Tabu zu rütteln: der Abtreibung. „Ich würde niemals einer Frau zur Abtreibung raten. Doch wir dürfen nicht die Tatsache verkennen, daß Tausende von Frauen sie praktizieren“, erklärte kürzlich Brasiliens Justizminister Mauricio Correa. Der überzeugte Katholik ist der Ansicht, daß die aktuelle Gesetzgebung „heuchlerisch“ sei und lediglich die Frauen aus den ärmeren Bevölkerungsschichten bestrafen würde.

In Brasilien, der größten katholischen Nation der Welt, steht Abtreibung streng unter Strafe. Frauen, die eine Schwangerschaft unterbrechen, können mit Gefängnisstrafen bis zu drei Jahren belangt werden. Ärzte, die die Operation mit Zustimmung der Patientin vornehmen, müssen mit Haftstrafen bis zu vier Jahren rechnen. Lediglich im Falle einer Vergewaltigung oder wenn die Mutter in Lebensgefahr schwebt, ist ein Schwangerschaftsabbruch erlaubt.

Doch die strenge Gesetzgebung hat auf die Praxis keinerlei Einfluß. Brasilien verbucht mit schätzungsweise fünf Millionen Schwangerschaftsabbrüchen im Jahr eine der höchsten Abtreibungsraten der Welt. Viele Frauen ergeben sich in ihrer Verzweiflung sogenannten Engelmachern und sterben an den Folgen einer in prekären Umständen vorgenommenen Abtreibung.

Für Justizminister Correa gehört die Diskussion über das in Brasilien äußerst heikle Thema Abtreibung zur allgemein notwendigen Aktualisierung des brasilianischen Kodex für Strafrecht. Die Überholung der Gesetzgebung ist für den Beginn des kommenden Jahres geplant. Theoretisch stehen in Brasilien auch bis heute noch Landstreicherei, Ehebruch und Verführung unter Strafe.

Die Feministinnen sind dem Minister für den Bruch mit der Doppelmoral dankbar: „Wir sind für die völlige Legalisierung des Schwangerschaftsabbruches“, erklärt Ana Maria Costa vom brasilianischen Gesundheitsministerium, verantwortlich für die offizielle Familienplanung. Es hätte keinen Sinn, lediglich weitere Ausnahmefälle zu definieren, in denen eine Abtreibung erlaubt ist. Selbst vergewaltigte Frauen werden in den öffentlichen Krankenhäusern nicht behandelt, obwohl ihnen das rechtmäßig zusteht, berichtet die Ärztin. Der Grund: Für einen genehmigten Schwangerschaftsabbruch sind zahlreiche schriftliche Gutachten und Behördengänge erforderlich. „Wenn die Frau alle Papiere zusammen hat, ist das Baby bereits geboren“, erklärt Ana Maria Costa.

Die katholische Kirche hat erwartungsgemäß bereits ihren Widerstand zu der vorgesehenen Liberalisierung des Abtreibungsrechtes angekündigt. Astrid Prange